PROMOVIERENDENTAGE zur deutsch-deutschen Zeitgeschichte
Fruzsina Müller

Kurzbiographie
Jahrgang:
1981
E-Mail:
fruzsina.mueller[at]uni-leipzig.de
Promotionsort:
Universität Leipzig
Studienabschlussfach:
Germanistik, Journalistik, Deutsch als Fremdsprache
Finanzierung der Promotion:
Stipendiatin der Bundesstiftung Aufarbeitung
Vorstellung des Promotionsthemas
Jeanssozialismus. Konsumstrategien des ungarischen Staates zum Anfang der Krise des sozialistischen Wirtschaftssystems
Schneejeans: Vielen ehemaligen DDR-Bürgern kommt dieser Begriff in den Sinn, wenn es um die ungarische Jeans geht. Dieses damals begehrte, heute eher belächelte Kleidungsstück konnte man als „Ostler” nur in Ungarn erwerben – und das bleibt in Erinnerung. Die Geschichte der ungarischen Jeans fängt jedoch viel früher an. In den 50er Jahren noch unbekannt, verbreitete sie sich rasch in den 60ern – auch wenn sie offiziell erst in den 70er Jahren zu kaufen war. Es kam vor allem auf die Marke an: Nur Levi’s, Wrangler und Co. waren in den Augen der jugendlichen Konsumenten von Wert. Doch wie behandelte die ungarische kommunistische Partei den Wunsch nach einem Kleidungsstück, das US-amerikanischen Ursprungs war?
Die in Budapest geborenene und in Leipzig lebende Kulturwissenschaftlerin zeigt in ihrem Projekt die bunte Palette der Strategien der ungarischen Staatsmacht gegenüber der „Markenjeans” und anderen westlichen Modeprodukten. Besonderes Augenmerk legt sie auf die 70er Jahre, als der Jeansmangel seinen Höhepunkt erreichte. Dem Politbüro offenbarte sich zu dieser Zeit, dass sie mit drastischen Schritten gegen die seit 1973 andauernde Wirtschaftskrise auftreten muss. Sie wollte aber weiterhin vermeiden, dass der Lebensstandard der Bevölkerung sinkt und ging immer mehr den Wünschen der Gesellschaft nach. Damit förderte sie den „Prestigekonsum“. Da unter den Jugendlichen nichts mehr Prestige hatte als die Jeans, verkündete das Ministerium für Leichtindustrie 1977 eine Ausschreibung zur heimischen Markenjeansproduktion.
Fruzsina Müller beschreibt das letzte Jahrzehnt der kommunistischen Herrschaft in Ungarn als „Jeanssozialismus”. Damit ersetzt sie die Begriffe „Gulaschkommunismus” und „Kühlschranksozialismus”, die in ihrem wortwörtlichen Sinne - gute Versorgung mit Lebensmitteln und Haushaltsgeräten - vorbei waren. Die Jeans war ein symbolträchtiges Konsumgut dieser Zeit. Sie steht bei der Autorin für eine Staatslenkungsform, die von der ursprünglichen Ideologie losgelöst immer noch um eine längst errungene Legitimität kämpfte.
Was in den Augen des „Westens” und der Bevölkerung vieler anderer sozialistischer Staaten die Freiheit darstellte, war nichts anderes, als die Widerspiegelung einer Angst der Staatspartei vor dem Verlust der Macht. Das kultur-, politik- und wirtschaftsgeschichtliche Projekt beschreibt Machtmechanismen und die Wechselwirkungen zwischen Staat, Wirtschaft und Bevölkerung in einem nicht abzuschottenden autoritären System.