PROMOVIERENDENTAGE zur deutsch-deutschen Zeitgeschichte
Franziska Kuschel

Kurzbiographie
Jahrgang:
1980
E-Mail:
franziska.kuschel[at]geschichte.hu-berlin.de
Promotionsort:
Humboldt-Universität zu Berlin
Studienabschlussfach:
Neuere und Neueste Geschichte
Finanzierung der Promotion:
Stipendiatin der Bundesstiftung Aufarbeitung
Vorstellung des Promotionsthemas
Schwarzhörer, Schwarzseher und heimliche Leser. Die DDR und die Westmedien
Lehrlingswohnheime, Kleingartenkolonien und Kneipen – das sind nur drei Orte, an denen die Staats- und Parteiführung der DDR die „Verführung“ der eigenen Bevölkerung befürchtete. Hier trafen Menschen aufeinander, die gemeinsam Radio hörten, sich über Fernsehsendungen unterhielten oder Zeitschriften austauschten. Die Gefahr für die eigene Bevölkerung kam aus Sicht der Oberen über westliche Printmedien, Rundfunk- und Fernsehwellen wie Bravo, RIAS oder ZDF. Der Glaube an die Macht der Medien barg Hoffnung und Furcht zugleich. Auf der einen Seite wollte man die Bevölkerung von der Richtigkeit der eigenen Ziele und Maßnahmen überzeugen, fürchtete sich auf der anderen Seite aber vor den Wirkungen der als feindlich angesehenen westlichen Medien.
Die beiden deutschen Staaten trugen den Wettkampf der Systeme im Kalten Krieg nicht zuletzt über die Massenmedien aus. Die Bundesrepublik Deutschland verfügte mit dem inmitten der DDR gelegenen West-Berlin über einen strategisch guten Ausgangspunkt, ihre Medienangebote zu verbreiten. Bis zum Bau der Berliner Mauer im August 1961 war es Einwohnern der DDR zudem leicht möglich, bei einem Besuch im Westteil Berlins Druckerzeugnisse zu bekommen oder in Grenzkinos Westfilme zu sehen. Die Staats- und Parteiführung der DDR konnte in diesem Wettstreit nicht mithalten. Sie hatte der Präsenz der westlichen Medien nichts Vergleichbares entgegenzusetzen und nahm dies als Bedrohung war. Die mediale Konkurrenz des Westens untergrub so tagtäglich die Bestrebungen, ein Informations- und Meinungsmonopol zu schaffen. Seit Beginn ihres Bestehens war die DDR daher bemüht, den Medienkonsum in der DDR zu kontrollieren und zu lenken.
Die an der Humboldt-Universität zu Berlin derzeit entstehende Dissertation von Franziska Kuschel analysiert die immer neuen Versuche, die Nutzung westlicher Medien zu verhindern, die Kommunikation über dort Gehörtes, Gesehenes oder Gelesenes zu kriminalisieren und schließlich Kontakte zu westlichen Medien zu unterbinden. Dazu benutzte die Staatsführung technische Mittel. So war sie beispielsweise mit dem Betrieb von Störsendern zeitweilig erfolgreich, behinderten diese doch den Empfang der Sendungen durch Summ- und Pfeifgeräusche. Die Verbreitung von Printmedien in der DDR ließ sich dagegen leicht kontrollieren, weshalb Zoll und Staatssicherheit bis zum Ende der DDR die Post überwachten. Außerdem versuchte die Führung der DDR, die Mediennutzung durch politischen und sozialen Druck zu steuern. So sah sie das kollektive Fernsehen in so genannten Fernsehstuben als geeignet an, das „Umschalten“ zu verhindern. In diesem Sinne wirkte auch die Propaganda. Bis in die achtziger Jahre hinein sollte die Bevölkerung durch vielfältige Kampagnen für die gewünschte Mediennutzung mobilisiert werden. Die Agitation ging meist mit repressiven Maßnahmen gegen jene einher, die die Boykottaufrufe nicht befolgten. Nicht wenige „geistige Grenzgänger“ (Karl-Eduard von Schnitzler) wurden von Schulen relegiert oder aus der Partei ausgeschlossen. Der Übergang vom moralischen und sozialen Druck auf den Einzelnen zum Einsatz juristischer Mittel war fließend. Der Empfang der westlichen audiovisuellen Medien war in der DDR gesetzlich nicht verboten. Die Realität sah anders aus. Immer wieder mussten sich Menschen vor Gerichten in der DDR verantworten, weil sie beispielsweise Freunde und Kollegen zum gemeinsamen Fernsehen eingeladen hatten oder die Konverter und Antennen zum Empfang des ZDF selbst gebaut und verkauft hatten. Aber auch Kommunikationsprozesse zwischen Medien und Mediennutzern wollte der Staat auf rechtlichem Wege unterbinden. Vielfach wurden Ermittlungen gegen Schreiber von Hörer- und Zuschauerbriefen eingeleitet, gaben sie westlichen Medien doch Informationen über das alltägliche Leben der DDR. Schließlich gab es neben den Maßnahmen zur Abschreckung und Erziehung aber auch Versuche, die Westmediennutzung einzudämmen, indem alternative Programmangebote entwickelt wurden.
Die Dissertation erzählt die Geschichte des Verbots, der Lenkung und Kontrolle „von oben“. Diese Versuche scheiterten aber an den technischen Möglichkeiten des grenzüberschreitenden Empfangs und den eigen-sinnigen Strategien der Nutzer im alltäglichen Umgang mit westlichen Medienangeboten. Nicht zuletzt das massenhafte Ignorieren des Verbots, Westmedien zu konsumieren, zeigt die Grenzen einer repressiven Medienpolitik. Versuche von Kontrollen und Verboten wurden letztlich aufgrund der alltäglichen Praxen der Mediennutzer „unten“ von einer stillschweigenden Duldung abgelöst. Die Arbeit lenkt den Fokus so auf die Möglichkeiten von Aushandlungsprozessen über Grenzen des Erlaubten oder Geduldeten in der DDR.