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PROMOVIERENDENTAGE zur deutsch-deutschen Zeitgeschichte
Methoden, Inhalte und Techniken im Umgang mit Streitgeschichte

Thomas Großmann

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Thomas Grossmann

Kurzbiographie


Jahrgang:
1978

E-Mail:
grossmann[at]zzf-pdm.de

Promotionsort:
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam/Freie Universität Berlin

Studienabschlussfach:
Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft

Promotionsbeginn:
2009

Finanzierung der Promotion:
Stipendiat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatu


Vorstellung des Promotionsthemas


Abtritt eines kalten Kriegers. Wie der „Schwarze Kanal“ vom Bildschirm verschwand

„Schnitzler in die Muppet Show“, riefen die DDR-Bürger im Oktober 1989 auf den Demonstrationen in Dresden, Leipzig und anderswo. Die Empörung über die giftigen Worte des Chefkommentators des DDR-Fernsehens war groß. Im August 1989 hatte sich Karl-Eduard von Schnitzler als Scharfmacher des kalten Kriegs wieder in Erinnerung gerufen. Zuvor interessierten sich nur wenige für seine Sendung „Der schwarze Kanal“, die jeden Montagabend im ersten Programm des DDR-Fernsehens lief. Selbst SED-Mitglieder dürften nach den ebenfalls montags stattfindenden Parteiversammlungen keinen Bedarf mehr an „Klassenkampf“ im Fernsehen gehabt haben. Von Januar bis Ende August 1989 schwankte die Einschaltquote der Sendung zwischen 0,5 und etwas über 5 Prozent. Damit gehörte sie zu den unbeliebtesten Sendungen des DDR-Fernsehens. Mit sinnentstellenden Ausschnitten aus Sendungen der ARD und des ZDF verleumdete sie die Bundesrepublik. Ihr Macher war für viele DDR-Bürger Gesicht und Stimme der SED und ihres Staats: unsympathisch, verbohrt, unzeitgemäß.

Mit dem Beginn der Massenflucht von DDR-Bürgern über die ungarisch-österreichische Grenze im Sommer 1989 wurde Schnitzler wieder bekannter, weil er als einziger für die SED-Führung sprach. Die Fluchtwelle war für ihn eine „Inszenierung“ des Westens und er rechnete am 28. August vor: „Die vorgeblichen Massen, um die es sich angeblich handelt, stellen im Kreise der Urlauber keine zwei Prozent dar, im Gesamtmaßstab unserer 16,6 Millionen Einwohner gerade mal 1,15 Prozent.“ 98 Prozent der Bevölkerung seien treue Staatsbürger, schloss er. Schnitzler trat auch in der „Aktuellen Kamera“ oder der neuen Jugendsendung „Elf99“ auf und ereiferte sich im Nachmittagsprogramm über einen Flüchtling als „dummes Schwein“ und „blöder Hund“. Die Wut der DDR-Bürger über diesen selbstherrlichen Zynismus entlud sich ab Mitte Oktober in zahlreichen Briefen und öffentlichen Protesten gegen Schnitzler und seinen „Schwarzen Kanal“.

„Warum wird der Schwarze Kanal von Karl-Eduard von Schnitzler weiterhin ausgestrahlt?“, fragte etwa Giesela S. aus Burgstädt das DDR-Fernsehen. „Stellt er unsere Republik nicht in ein ganz schlechtes Licht, wenn er alle Welt als Lügner und Heuchler hinstellt und nur er, bzw. wir sind die Wahrheitsapostel? Der Schwarze Kanal Anfang der Flüchtlingswelle: Die paar können wir vergessen! oder etwas später in der neuen Jugendsendung Elf99: die uns verlassen sind alles Kriminelle, Gauner und Verbrecher! (…) Waben wir so etwas nötig?“ Auch nach der Erklärung des SED-Politbüros vom 12. Oktober über den „Dialog“ milderte Schnitzler seinen Ton nicht. „Ausgehend von unserem Anlauf zu neuen Höhen des Sozialismus, verbitten wir uns gute Ratschläge und die Frechheit, unsere Souveränität und unser Selbstbestimmungsrecht abkaufen zu wollen“, schrieb er in das Manuskript seines „Kanals“ vom 16. Oktober. In seltener Offenheit machten die Zuschauer daher ihrem Unmut über Schnitzler Luft. So schrieb Hartmut R. aus Radebeul am 26. Oktober, es sei nicht zu verstehen, „dass auch jetzt noch die entsetzlichste Sendung des Fernsehens seit Gründung der DDR – der „Schwarze Kanal“ – ausgestrahlt wird.“ Auch Hermann S. aus Haarhausen beschwerte sich wenige Tage später, dass „die volks- und regierungsschädigende Hetzpropaganda“ weiter gesendet werde.

Selbst der SED-Oberbürgermeister Dresdens, Wolfgang Berghofer, schrieb am 24. Oktober dem Fernsehchef Heinz Adameck einen Brief: „In der letzten Zeit bin ich wiederholt von Bürgern meiner Stadt aufgefordert worden, Dich über ihre sehr kritische Einstellung zum ‚Schwarzen Kanal‘“ und den Argumentationen von Karl-Eduard von Schnitzler zu informieren. Er hat mit seiner undifferenzierten Art der Auseinandersetzung regelrecht den Volkszorn auf sich gezogen. In zahlreichen Großveranstaltungen und Bürgerforen wurde unter frenetischem Beifall mehrfach die Auffassung kundgetan, dass mit Schnitzler keine neue, zeitgemäße Qualität der Medienarbeit zu erreichen ist.“ Von alldem zeigte sich Schnitzler unbeeindruckt: „Ich muss nicht sagen, dass mich – im Bewusstsein: Das Feindbild ist notwendig, die Entlarvung im Klassenkampf zwingender denn je – derartige Attacken nicht überraschen“, antworte er Adameck tags darauf. Doch die neue SED-Führung um Krenz und Schabowski war am Machterhalt interessiert – ohne die Altlast Schnitzler. Am 31. Oktober durfte er noch einmal für weniger als fünf Minuten auf Sendung, um sich von den „lieben Genossinnen und Genossen“ zu verabschieden: „Nicht dass ich etwas zu bereuen hätte. Der Umgang mit der oft unbequemen Wahrheit ist schwer, aber er befriedigt. (…) In diesem Sinne werde ich meine Arbeit als Kommunist und Journalist (…) fortsetzen.“ Am Morgen des 1. November1989 erreichte das DDR-Fernsehen ein Telegramm von Herbert B. aus Kyritz: „die herzlichsten glueckwuensche zu ihrer entscheidung e. schitzler vom bildschirm zu verbannen jedoch 10 jahre zu spaet.“



Eigene Publikationen mit Bezug zum Thema:


Fernsehen, Öffentlichkeit, Revolution. Die Bedeutung von Nachrichtensendungen für den Umbruch in der DDR 1989, in: Rundfunk und Geschichte 35/2009 3-4, S. 43-44.


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